Kurzfassung des Vortrags von Prof. Dr.-Ing. G. Bärwald zur Grünen Woche in Berlin 2008
Topinambur ist eine Pflanze aus der Gattung der Sonnenblumengewächse, die vor gut 400 Jahren von Nordamerika wie die Kartoffel, die Tomate, der Tabak oder auch der Mais nach Europa gelangte.
Diese hoch wachsende Pflanze kann nahezu vollständig verwertet werden. Wir forschten an der TU Berlin seit 1982 an der Verwertung der Stolonen am Wurzelstock, die als „Knollen“ bezeichnet werden. Man vergärt sie zu Alkohol, der einmal als Biosprit heute in unser Benzin kommt = „Energie aus nachwachsenden Rohstoffen“, man verwendet sie zum Kochen als Sättigungsbeilage, für Salate, presst sie zu Saft aus, nimmt sie zum Süssen, als Brotaufstrich und vieles mehr.
Worin unterscheidet sich Topinambur von anderen kohlenhydrathaltigen Pflanzen bzw.Rohstoffen?
Anstelle von Stärke, das ist polymer gebundene Glukose, die den glykämischen Index hoch treibt, enthält die Topinambur das ReservekohlenhydratInulin, das ist polymer gebundene Fruktose mit nur einer Glukose am Anfang des großen Moleküls. Dadurch erhält Inulin die Eigenschaft nach dem Verzehr praktisch kein Insulin abzurufen. Inulin ist Insulin unabhängig. Dieses gesundheitsrelevante Kohlenhydrat hilft allgemein bei der Gewichtsreduktion als ideales Sättigungsmittel.
Topinambur wird besonders adipösen Typ IIb - Diabetikern empfohlen. Die Cholesterin-Senkung ist bewiesen. Der glykämische Index von Topinambur liegt sehr niedrig, etwa zwischen 1 und 4. Dadurch ist Topinambur ein ideales Sättigungsmittel, welches schlank aber keinesfalls dick macht. Warum? Inulin ist im menschlichen Dünndarm unverdaulich und deshalb ein Ballaststoff. Erst im Dickdarm können Mikroorganismen, wie Laktobazillen und Bifidobakterien, das Inulin durch spezielle Enzyme in kleinere Oligofruktosen und organische Säuren zerlegen. Dabei benutzen diese Bakterienspezialisten das Inulin als Nährstoff für ihre eigene Vermehrung. Dieser Vorgang wird P r e b i o t i k genant.
- Topinamburknollen fördern die Verdauung und halten das Verhältnis der Darmbakterien zu einander harmonisch.
- Inulin wird im Dickdarm nur von Laktobazillen und Bifidobakterien verwertet. Diese bilden organische Säuren und senken dadurch den pH-Wert im Darm, wodurch unerwünschte andere Bakterien, wie beispielsweise Clostridien und Salmonellen, unterdrückt werden.
- Die Aufnahme von Kalzium (Ca-Resorption) aus dem Speisebrei erhöht sich bis zu 20% und die die Resorption von Magnesium und Eisen verbessert sich. Für einen prebiotischen Zustand wurde mit Inulin der messbare Einfluss auf die Verdauung anhand der Stuhlfrequenz der Abführeffekt (Laxanz) klinisch geprüft. Bei Erwachsenen tritt der Effekt bei Verzehr von 5 bis 8 Gramm Inulin, das entspricht 10 bis 15 g getrockneter Topinamburknolle, als Tagesration in der üblichen Kost ein. Ab dem 3. Monat kann Topinambur der Babykost schon beigefügt werden.
Die Topinamburknolle kann roh und / oder getrocknet und zerkleinert als eigenständiges Lebensmittel in der Küche verwendet werden. Das Mehl enthält sowohl die Schalen- als auch die Fruchtfleischbestandteile. Dadurch werden positiv auf die Gesundheit wirksamen Inhaltsstoffe mit in die Speise eingebracht, von denen nur einige hier ganz kurz besprochen werden können, wie: Eiweiß und Aminosäuren; über 50% der Aminosäuren sind essentiell; Makro- und Mikroelemente, wie Kalzium, Magnesium, Eisen, Zink und Selen. Dabei ist Topinambur Natrium – arm, hingegen sehr konzentriert an Kalium, was bei Bluthochdruck günstig ist. Und: Polyphenole, besonders Phenolsäuren. Hierin dominiert die Salicylsäure, die antimikrobiell, Fieber senkend, entzündungshemmend wirkt, dann die Chlorogensäure, die prophylaktisch antikarzinogen ist, sowie die Gentisinsäure, die antioxidativ und bakteriostatisch reagiert („pflanzliches Aspirin“). Weitere Phenolverbindungen von Bedeutung wurden bestimmt. So wurde in den Stängeln der Sonnenblume beispielsweise kürzlich auch ein Abwehrstoff gegen den Befall mit Sclerotinia sclerotiorum (Weißfäule) gefunden: die Dicaffeoyl-Chinasäure (DCQA), die einen Schutzstoff gegen AIDS darstellt. Sie hilft, im menschlichen Körper eine HIV-Viruslast zu senken.
Topinamburknollen roh oder schonend getrocknet und zerkleinert in Lebensmittelzubereitungen vermehren den Ballaststoffanteil, verbessern die Darmflora und zugleich die Laxanz, befördern das Sättigungsgefühl, senken den Glyx-Wert und tragen zur Gewichtsreduktion in einer Diät bei, senken die Broteinheiten (BE-Wert) bei Diabetikern. Sie besitzen allgemein durch ihre Zusammensetzung an Polyfruktanen, Makro- und Mikroelementen sowie Polyphenolen verschiedene präventive Wirkungen: auf das Immunsystem, antioxidativ durch Abfangen freier Radikale im Körper, die aus Speisen und Umwelt stammen, sowie auf die Lipide, das Cholesterin und viele andere mehr. Die oberirdischen Teile: Blüten und Blätter, besitzen ebenfalls Gesundheitsrelevanz. So diente die B l ü t e als schleimlösendes, Katarrhe milderndes Tonikum oder Sirup im alten Russland als bewährtes Hausmittel. Zur Zeit wird die Heilwirkung wiederentdeckt. Aus den B l ä t t e r n der Pflanze lässt sich ein Diabetikertee zubereiten. Dieser enthält neben der natürlichen Süßwirkung des Inulins, das dort gebildet wird, auch die erwähnten die Gesundheit des Menschen fördernden Polyphenole. Diese schützen die Pflanze selbst vor Schädlingsbefall und halten die Verderbnis auf. Die Schutzstoffe werden bevorzugt in Pflanzen gebildet, die nicht unter dem Einfluss von Pflanzenschutzmitteln wachsen. Schliesslich produzieren solche Topinamburpflanzen gegen Stress und zur Abwehr von Mikroorganismen als Infektanten selbst gezielt Polyphenole und gegen Frostschäden das Inulin, die wir selbst für unsere Gesundheit nutzen können.